Fluss des Lebens

Banana Yoshimoto war in Ägypten

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Als sie aus dem Fenster des kleinen Flugzeugs in die Tiefe schaute, sah sie den Nil wie »eine blaue Schlange«, die sich durch die Ödnis wand. »Ein riesiges Band, gewebt aus der Wüste, dem Nil und dem Grün seiner Ufer ... Tatsächlich führte einem diese Landschaft den Fluß des Lebens erschreckend deutlich vor Augen.« - Das ist der Ton dieses Buches: Staunen in eine einfache, fast naive Sprache gebracht, die Klischees nicht scheut. Wobei das Kindlich-Unbefangene in diesem Text im Hintergrund die ganze Zeit kontrastiert wird von einem dunklen Ton. Ein Roman über Leben und Tod. Banana Yoshimoto ist im Frühjahr 1995 mit einer Gruppe von Verlagsleuten und Künstlern durch Ägypten gereist, hat all die Sehenswürdigkeiten aufgesucht, die gewöhnlich auf den Routen der Touristen liegen - Assuan, Tempel diverser Götter, das Tal der Könige, Kairo, die Pyramiden - sie hatte Tagebuch geführt und gehofft, den Stoff für ein neues Buch zu finden. Doch dann zeigte sich, wie schwierig es war, »einen Schauplatz vom Kaliber Ägyptens in den Griff zu bekommen«. Sie entschied sich für einen fiktiven Roman, in dem dieses geheimnisvolle Land, die Wiege der Menschheit, mit den Augen junger Japaner gesehen wird, die auf Reisen gingen, um sich selbst zu finden. So war sie mit jedem Satz hin- und hergerissen zwischen der möglichst genauen Beschreibung eigener Erlebnisse und der Einfühlung in die Konflikte ihrer Gestalten. Und über allem eine Sehnsucht nach Harmonie, die man dieser jungen Wilden aus Tokio zunächst nicht zugetraut hätte. Junge Menschen voller Lebenshunger in der Großstadt, Sex, Alkohol und der Slang der Comics - das war der Stoff, mit dem sie berühmt wurde. »Kitchen«, ihr erster Roman, diente als Vorlage für den gleichnamigen Film, der um die Welt ging und auch in Deutschland gezeigt worden ist. Doch auch hier klang schon untergründig an, was junge Leute bewegt: die Suche nach Sinn und Halt, die Angst, sich zu verlieren. Die drei Hauptgestalten dieses Buches sind erst Ende zwanzig, aber schon jenseits von allem, was ihnen früher wichtig war. Ein seltsames Trio: Takashi war die erste große Liebe der Ich-Erzählerin Kiyose, die von ihm verlassen wurde, weil er eine schwule Beziehung mit Hideo aufgenommen hat. Inzwischen lebt Takashi mit Mimi zusammen. Die aber fährt nicht mit nach Ägypten. Sie muss erst mit der Nachricht fertig werden, dass Takashi HIV-positiv ist. Was in der nüchternen Beschreibung wie eine verwirrende Beziehungskiste wirken könnte, ist in diesem Roman zum Sinnbild wahrer Freundschaft geworden. Kiyose liebt Hideo und Mimi ebenso wie Takashi. Doch um ihn hat sie natürlich ganz besonders Angst Als ob diese drei Menschen sich bisher so ausgelebt hätten, dass es ihnen nichts ausmacht, sich aufs Geistige zurückzuziehen. So tun sie. In Wirklichkeit aber befinden sie sich im Würgegriff der Angst. Hideo ist mit Kiyose zum Aids-Test gegangen, wollte aber lieber nach Ägypten reisen, ohne das Ergebnis zu wissen. Und Takashi schaut oft sinnend in die Ferne. Nur manchmal sind die Reiseeindrücke so stark, dass er seine Lage vergisst. Was kann die ägyptische Kultur dem modernen, gehetzten Menschen geben, darüber hat Banana Yoshimoto nachgedacht. Alte Weisheiten - kann man sich an sie halten? Was bedeutet es, im Angesicht des Todes zu leben? Wie verändert man sich dabei? Als publikumsorientierte Schriftstellerin machte es ihr offenbar nichts aus, hin und wieder auch ins Sentimentale abzugleiten. Oder hätte die Übersetzerin da sprachlich noch etwas »feilen« müssen? Aber das Buch wirkt auch sehr wahrhaftig, indem es auf der Ebene des banalen Empfindens und Deutens bleibt. Das Glück in der Trauer: der vollkommene Augenblick. Dahin geht das Streben der Gestalten im Buch: unwiederholbare Momente zu sammeln. Im Alltäglichen. Wie sie, als sie die erschreckende Nachricht erhalten hatten, schweigend zusammensaßen und den Song »Sly« der Gruppe »Massive Attack« hörten (überhaupt ist die Gefühlswelt dieser jungen Leute wohl geprägt von solcherart Texten), wie Takashi sich auf einer Steinstufe niederließ und in den Himmel schaute, ein Sonnenuntergang über dem Nil, der Genuss eines süßen Pfannkuchens auf dem Basar, ein tiefes Durchatmen, sogar die Mattigkeit nach einem ereignisreichen Tag. Aus der Bitternis aufsteigend immer wieder der »Geruch der Zuversicht« beim Anblick des ägyptischen Sonnengotts: »Alles war schön, einfach nur f...

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